Wach wurde er um kurz vor sieben. Das Haus war noch ruhig.
Sein siebzehnter Geburtstag. Wenn man’s genau nahm, sein achtzehnter. Seine Mutter legte immer sehr großen Wert auf die exakte Zählung. Denn seine Geburt war wohl eine schwere, bei der seine Mutter fast gestorben wäre. Er dann ja eventuell auch. Also ihr zu Ehren, denn sie hatte dieses Wunder schließlich vollbracht: sein achtzehnter Geburtstag.
Soweit er sich erinnern konnte, war das der erste Geburtstag, an dem nicht seine Eltern die ersten Gratulanten waren. War das ein Zeichen des Erwachsenwerdens? Irgendwie schon. Er war, wenn auch nur vorübergehend, nicht mehr zu Hause. Zu Hause ausgezogen – auf Zeit. Wenn John sich nicht sein Bein gebrochen hätte, wäre der heute der erste gewesen. Gespannt war er, wem er als erstes über den Weg laufen würde. Und ob der oder die Betreffende auch an seinen Geburtstag denken würde. Manuela hatte ihm gar nicht gratuliert, als sie von dannen gezogen war. Wenigstens nicht mit Worten. Und das war ja gerade erst ein paar Stunden her. Was für eine Nacht! Dagegen war das, was da neulich im Unterholz passiert war, nich vel mehr as so’n lialütt beten Knuutscheree. Wäre seiner Oma dazu vielleicht eingefallen. Mit vorwurfsvollem Unterton? Büst du nich en beten jiddelig un hiddelig mit de Deerns? Sein Lebenswandel der letzten Tage wäre ihr wohl zu unstet.
Mareike war mit ihrem Frühstücksteam sicher schon unterwegs. Wenn man da Dienst hatte, musste man immer um halb sieben aufstehen. Aber entweder waren die sehr leise gewesen, oder er hatte so fest geschlafen, dass er gar nichts mitbekommen hatte. Nach der letzten Nacht wäre das kein Wunder.
Das Kopfkissen roch noch nach Manuela. Oder bildete er sich das jetzt ein? Verschwitzt roch es, da gab es nichts zu deuteln. Und er roch anders. Fand er wenigstens. Und etwas matt fühlte er sich. War wohl alles
irgendwie sexuell
.
Erinnerung und Geruch regten ihn an. Also sah er zu, dass er aus dem Bett kam, bevor ihn das aufregte und sein kleiner Kumpel sich auch erinnerte.
Neben dem Bett sah es heiß aus. Wäre da jemand unerwartet hereingekommen, wäre dem sofort klargewesen, was hier über Nacht los war. Ein Happening mit deutlich sichtbaren Spuren. Er sammelte die diversen Taschentücher auf – manche mit Füllung, manche einfach nur feucht – und stopfte sie in eine Kuchentüte, die da noch von Donnerstag oder Freitag bei ihnen auf dem Tisch lag. Sie waren beide nicht sehr ordentlich. Das kam ihm nun zupass: ihre Unordnung und die Kuchentüte. Sein Blick fiel noch auf eine halb unter dem Bett liegende nicht eingewickelte Tüte. Er hoffte, dass er jetzt nichts übersehen hatte, stopfte die letzte Tüte noch in die Tüte und packte die Sammlung erst einmal in seinen Schrank hinter seine Reisetasche. Wie oft waren sie gestern eigentlich aktiv gewesen? Müsste er die Hinterlassenschaften noch einmal genauer inspizieren. Zählappell, ihr Tüten! Aber dreimal oder so waren das wohl gewesen, bevor Manuela sich vom Acker gemacht hatte. Und bei ihm hatte das alles toll geklappt. Mit jedem Mal eigentlich immer besser. Ob das immer so war? Aber eigentlich wirklich die falschen Gedanken um diese Tageszeit. Obwohl das doch verständlich war, dass er da gedanklich noch nicht so richtig loskam. De Deern leeg em noch so suutje in’n Sinn. Wäre vielleicht der Kommentar seiner Oma in dieser Angelegenheit gewesen.
Er ging zum Fenster. Die Vorhänge waren noch aufgezogen. Vielleicht war er deshalb vor der Zeit wach geworden. Helles Schlafen war er nicht gewohnt. Und die Sonne war sicher schon um fünf aufgegangen, kurz nachdem der Mond untergegangen war. Eine helle Nacht. Er öffnete alle vier Fensterflügel, lehnte sich auf die Fensterbank, atmete tief ein – eine tolle Luft draußen – und genoss es einige Minuten, einfach nur zu atmen und zu schauen und zu hören. Das würde wieder ein toller Tag werden. Vor siebzehn Jahren sollte das auch so ein toller, heißer Tag gewesen sein. Hier in Waldtal hatten sie bisher Glück gehabt. Jeden Tag Sonne, kein Regen, auch die drohenden Gewitter am Dienstag und Mittwoch waren immer weitergezogen, an ihnen vorbei. Auch in ihrer Gruppe hatte es bisher nicht gekracht. Obwohl sie ja sicher alle sehr unterschiedlich waren. Anders und Jensen hatte die Sache hier gut im Griff. Der Wechsel von Programm und Freizeit war gut. Eigentlich sogar mehr Freizeit, als er erwartet hatte. Im Schnitt bestimmt jeden Tag zwei Stunden, an einigen Tagen sogar mehr. Die John von Anfang an konsequent nutzte an dem „bemerkenswerten Ort im Wald mit Musik“. Aber er hatte den Eindruck, dass nicht nur John und er die Zeit genutzt hatten, sondern auch bei einer ganzen Reihe anderer Mädchen und Jungen hatte er den Verdacht, dass sich da etwas abspielte. Gesten, Blicke, Berührungen. Besonders Blicke. Obwohl man da natürlich auch arg verkehrt liegen konnte. Er würde trotzdem wetten, dass mehr als die ihm „bekannten Ereignisse“ stattgefunden hatten. Und er würde daran arbeiten, dass da auch bei ihm kein Stillstand stattfinden würde. Ob da allerdings die Manuela die richtige Partnerin war, glaubte er nicht. Das war ihm eigentlich schon nach der Heuwender-Affäre klar. Nachdem er ja von Beginn an so auf sie fixiert war. Wie hatte Sven Philipp noch ihren Blick beschrieben? Flackerig? Das passte auf ihr gesamtes Verhalten, nicht nur auf ihren Blick. Immer auf der Suche, flatternd von Blüte zu Blüte. Aber immerhin hatte er bisher zweimal das Glück gehabt, von ihr auserwählt worden zu sein. Und die letzte Nacht war ja wohl der Hammer. Ein superscharfes Happening. Ein Love-in, wenn auch in kleinem Kreis. Wenn
das
Erwachsenwerden war, dann war Erwachsenwerden toll. So war das Leben toll!
„
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
“
.
Turtles, She’d Rather Be With Me, s.o.: Und doch noch einmal dieser wunderschöne Song. Ein allerletztes Mal: „Verdori ok, ick heff dat grote Los trucken!“ „Minnst güstern!“, könte man hinzufügen.
Inzwischen war es kurz nach sieben. Er würde sich auf den Weg in den Waschraum machen. Ausgiebiges Duschen wäre nicht schlecht. Zum Wachwerden. Und heute sowieso. Da er so früh dran war, könnte er das Glück haben, erst Leute zu treffen, wenn er mit der Morgentoilette fertig war. Er griff sich sein großes Badehandtuch, frische Wäsche, den Kulturbeutel – was für ein Wortungetüm! – und ging auf den Flur. Auch dort war noch alles ruhig. Man hörte ein Rumoren aus der Küche im Erdgeschoss. Aber durch Gemeinschaftsraum und Küche musste er nicht auf seinem Weg ins Bad im Erdgeschoss.
Auch im Bad war niemand. Also ab unter die Dusche. Heißes und kaltes Wasser im Wechsel. Dann wurde man spätestens wach. Nach dieser Kneipp-Phase ließ er sich noch einige Minuten angenehm lauwarmes Wasser über den Körper laufen. Sein Gesicht drehte er in den Wasserstrahl.
Nach Abtrocknen und Zähneputzen stellte er erneut fest, dass er automatisch im Kulturbeutel nach seinem Rasierapparat suchte. Den hatte er aber gar nicht erst mit ins Bad genommen. Heute befand er nach einem Blick in den Spiegel, dass sich zumindest auf Oberlippe und Kinn sichtbar etwas bildete, das die Bezeichnung Bart verdiente. Die Koteletten waren eh schon sehr ausgeprägt, als er in Waldtal ankam. Es fehlte eine noch etwas kräftigere Verbindung zwischen Koteletten und Kinn. Aber er war da ganz zuversichtlich.
Etwas Rasierwasser nahm er trotzdem. Konnte nicht schaden. Ein herber Duft tat der Männlichkeit keinen Abbruch.
In der frischen Wäsche fühlte er sich eindeutig wohl. War doch alles etwas schweißtreibend letzte Nacht.
Er legte sich das Handtuch über die Schulter, griff sich die Wäsche und den Beutel und verließ das Bad.
Auf Flur und Treppe war noch immer nichts los. Erstaunlich. Wollten die heute alle nicht aufstehen? Ihm war’s recht. Eigentlich war er ein ruhiger Mensch. Morgens nach der Devise seiner Oma: Laat dat man sinnig angahn vundaag. Er war kein Morgenmuffel. Bewahre! Aber er liebte das nicht, wenn morgens zu viele Dynamos seinen Weg kreuzten. Und vielleicht alle noch etwas von ihm wollten und an ihm zerrten.
Das Beste wäre, er könnte sich oben ein frisches Hemd anziehen, sich aus dem Haus schleichen, um dann in der Kneipe im Ort zu frühstücken. Ganz allein. Das wär’s doch. Aber wenn er das machte, gäbe es Ärger. Das unangemeldete Verlassen der Gruppe war untersagt. War ja auch in Ordnung, die Regel.
In sein Einzelzimmer kam er ungestört. Ob er mal bei seinen beiden Nachbarinnen anklopfen sollte? Die würden doch glatt verpennen. Bald halb acht war es inzwischen. Nee, sollten die doch allein damit klarkommen. Auf ein paar Minuten kam’s nicht an. Ebenso in der Hinsicht hatten Anders und Jensen ein gutes Gespür.
Er setzte sich kurz auf sein Bett, schnupperte noch einmal am Kopfkissen – eindeutig Frau, welche, war ja bekannt –, griff sich seine Gitarre, spielte einige bluesige Bassläufe, um dann eine Strophe von
Moonshot
zu spielen. Eines seiner Lieblingssolostücke. Das gelang – für die frühe Morgenstunde – recht flüssig. War ja doch eigentlich eher etwas für Abend oder Nacht. Und wo er schon einmal dabei war, spielte er zur Feier des Tages noch einige weitere Instrumentalstücke. Der
Foot Tapper
kam gut,
Dance On
ebenso. Zum Abschluss seines kleinen Geburtstagsständchens versuchte er sich noch an
Amapola
.
Aber das klappte auch heute wieder nicht in der notwendigen Schnelligkeit. Deshalb hatten sie das auch noch nicht in ihr offizielles Repertoire aufgenommen. Üben müsste er, sonst würde das nichts werden. Um nicht mit einem Flop zu schließen, hängte er noch
The Breeze And I
Shadows, The Breeze And I, Mar63UK: Insgesamt eine sehr schöne Auswahl wunderbarer Instrumentals. Für einen Geburtstag allerbest. Glückwunsch!
an, das einen ganz speziellen Takt hatte – irgendwie Tango oder Flamenco oder so – und dadurch auch nicht ganz einfach war. Nachdem ihm das wieder ganz passabel gelang – es war ja nun wirklich nicht die Tageszeit für artistische Kunststückchen, das würden ihm alle Gitarristen dieser Welt bestätigen, eher zwölf Stunden später im Tagesgang, mindestens –, legte er seine Gitarre aufs Bett. In dem ja noch vor einigen Stunden Manuela gelegen hatte. Mit ihm!
Als Oberhemd wählte er das poppigste, was er dabei hatte. Weiß, mit kleinen blauen Punkten, dunkelblauem Kragen und dunkelblauen Manschetten. Nicht unbedingt Flower-Power, aber mehr war zur Zeit nicht drin. Sven Philipp konnte da mehr bieten. Vielleicht würde er zu Hause mal den Erwerb eines blumigeren Hemdes überlegen. Wenn er das selbst bezahlte?
Portemonnaie und Zigaretten steckte er ein und ging dann nach unten. Eine Tasse Kaffee wäre jetzt nicht schlecht. Inzwischen war es kurz vor acht. Eigentlich noch ein bisschen zu früh. Aber zur Feier des Tages war er heute eben mal rechtzeitig.
Die Tür zum Gemeinschaftsraum war noch geschlossen. Ungewöhnlich. Aber war ja auch ein ungewöhnlicher Tag, wenigstens für ihn. Wirklich nicht alltäglich.
Als er in den Raum trat, hatte er den Grund für die Ruhe im Haus vor Augen. Und zwar vor sich und im Halbkreis aufgestellt. In dessen Mitte ein Stuhl stand. Für wen der war, war nicht so schwer zu erraten.
Jensen zeigte auf den Stuhl, um ihm zu bedeuten, dort Platz zu nehmen. Und dann ging’s los. Zur Einstimmung „Happy Birthday“, dann „Hoch soll er leben“, dann „Viel Glück und viel Segen“. Als Kanon! Der sogar funktionierte. Wo und wann hatten sie das geübt? Zu Beginn war er nur sprachlos, dann – während des Kanons – stellte er fest, dass er eine gewisse Rührung bemerkte. Er wollte hier doch wohl keine Träne verdrücken!
Alle schauten ihn während des Singens fröhlich an. Einige strahlten und lachten richtig. Das war nicht nur eine Überraschung, das war richtig superscharf. Damit hatte er nicht gerechnet. Er zwang sich, entspannt zu sitzen und zu genießen. Das hatten sie richtig schön geplant, und jetzt klappte es toll.
Nachdem sie den Kanon – exakt getimt, Buddy Jensen dirigierte – beendet hatten, trat Sven Philipp aus dem Halbkreis heraus und stellte sich vor ihm auf. In der Hand hatte er ein kleines Päckchen.
„Lieber Benjamin ... nee, warum so förmlich? Ich starte noch einmal. Also – um dich zu zitieren, du erinnerst, Benno? – also: Lieber Benno. Wir alle wünschen dir zu deinem achtzehnten Geburtstag alles erdenklich Gute. Gesundheit sowieso, Spaß hier noch in Waldtal – Spaß mit uns! – viel Freude im ganzen vor dir liegenden Lebensjahr, schöne Erlebnisse, schöne Stunden, schöne Begegnungen. Dass du mit Menschen zu tun hast, die du magst, die dich mögen, von denen du lernst, die von dir lernen. Getreu dem Motto: Bleib’ der Alte!“ Kleine Pause. „Und verändere dich!“ Er räusperte sich.
„Alle hier Versammelten wollen dir natürlich auch noch ihre Glückwünsche aussprechen. Da sie das ja unmöglich alle auf einmal tun können, habe ich mich breitschlagen lassen, erst einmal einen Kollektivglückwunsch zu übermitteln, damit wir dann mit dem Frühstück beginnen können. Und während des Frühstücks oder danach werden sich wohl die eine oder der andere zu dir bemühen.“
Er wies – mehr so unbestimmt – in den Halbkreis.
„Und wenn dir dann auffallen sollte, dass wir alle etwas streng riechen, so sei unbesorgt. Das hat einen ganz einfachen Grund: Wir haben uns heute nur angezogen, sind leise in den Gemeinschaftsraum gegangen und haben auf dich gewartet.“
Er zeigte noch einmal in den Halbkreis.
„Da unsere Portemonnaies alle recht klamm sind, wir dir aber eine Aufmerksamkeit zukommen lassen wollten, habe ich folgendes kleines Geschenk – es stammt aus meinem Bestand, war also wohlfeil –, das du hier in buntes Papier eingewickelt siehst, vorgeschlagen. Und du wirst es auch gleich in Gebrauch nehmen.“
Jetzt kam Sven Philipp näher, forderte ihn mit einer Geste auf, sich zu erheben.
„Es ist ja unüblich, dass der Schenker – der zudem das Geschenk noch selbst eingepackt hat – das Geschenk auch selbst wieder auspackt. Diesen Fehler werde ich aber trotzdem machen.“
Damit nestelte er an dem kleinen bunten Paket herum, fisselte an dem Geschenkband – auch das poppig-bunt – und zog aus dem Papier ein buntes längliches Etwas. Ein Seidentuch. Ganz offensichtlich aus dem Bestand von Sven Philipp. Das hätte er nicht zu betonen brauchen.
„So, ab dem heutigen Tag, der ja dein Ehrentag ist, bist du aufgenommen in die Riege der Ober-Flower-Power-Super-Gitarreros. Du gestattest, dass ich dieses Band sachgerecht verknote.“
Damit schlug er den Seidenschal aus – hellblau mit aufgedruckten roten und gelben Blüten –, wickelte ihn kunstfertig zusammen und band ihm den Schal um den Kopf, so dass die Schleife hinten über seinen Hemdkragen fiel.
„Auch hier ein Motto: Wir Hippies müssen zusammenhalten!“
Jetzt zog er einen kleinen Rasierspiegel aus seiner Hosentasche und hielt ihm den vor das Gesicht.
„Voilà. Damit du siehst, wie du jetzt wirkst, kannst du einmal einen Blick riskieren.“
Sah scharf aus. Während er sich noch begutachtete, klatschten alle.
„So, das war der offizielle Teil. Die herzlichen Glückwünsche des ganzen hohen Hauses sind hiermit übermittelt. Wir könnten mit dem Frühstück beginnen.“
„Augenblick, Sven Philipp!“ Er machte eine kurze Pause, sah Sven Philipp an. „Fast hätte ich gesagt: Sergeant Pepper.“
Er dachte kurz nach, sah den vor ihm Stehenden noch einmal genau an, der heute natürlich auch ein Stirnband, ein blumiges Hemd und eine bunte Hose trug, verglich Sven Philipp mit seinem Bild von Sergeant Pepper. Da er die Plattenhülle noch nicht kannte, musste er sich mit dem Schwarz-Weiß-Bild aus dem
New Musical Express
NME, May 27, 1967, No. 1063, S. 2f. und NME, June 3, 1967, No. 1064, Titel
zufrieden geben. Aber Sven Philipp war eine würdige Besetzung.
„Warum eigentlich nicht? Sergeant Pepper. Ich finde, du bist eine perfekte Besetzung für Sergeant Pepper.“
Er blickte in die Runde. Einige nickten.
„Ich fange noch einmal an: Augenblick, Sergeant Pepper! Ein bisschen muss ich jetzt auch noch sagen dürfen. Nur ganz kurz. Ich werde berücksichtigen, dass ihr gleich verhungert, wenn ich jetzt zu ausführlich werde.
Also – um mich einmal selbst zu zitieren – also ich bin überwältigt. Und auch ein klein wenig gerührt. Als ich eurem wunderschönen Kanon zugehört habe, kamen mir fast – entschuldigt bitte – die Tränen. Das war wirklich wunderschön. Und ihr habt mich voll auf dem linken Bein erwischt. Nee, stimmt nicht. Das linke Bein ist mein stärkeres. Also ihr habt mich voll auf dem rechten Bein erwischt.
Ich glaube, einen solchen Geburtstag habe ich noch nicht erlebt. Nee, ich kann das sogar ganz sicher sagen, einen solch schönen Geburtstag habe ich noch nicht erlebt, obwohl der ja gerade erst beginnt. Das habt ihr ganz toll hingekriegt.“
Er schaute sich im Halbkreis der vor ihm Stehenden um, bis sein Blick Manuela traf. Die fröhlich zurücklächelte. Mal ganz natürlich, ohne Hintergedanken, die er bei ihr eigentlich immer voraussetzte.
„Also – jetzt zitiere ich meinen Vorredner – also ich danke euch. Und freue mich auf die zweite Halbzeit unserer gemeinsamen Zeit hier in Waldtal.
Und Dank dir, Sven Philipp ... ähh ... Sergeant Pepper, dass du dich von diesem Stirnband trennen mochtest. Finde ich superscharf. Sieht gut aus. Steht mir perfekt, finde ich.“
Jetzt griff er den vor ihm stehenden Sven Philipp, der etwas überrumpelt schien, und umarmte ihn einmal kurz.
„Und jetzt habe ich Hunger und Durst. Und wenn ihr gestattet, behalte ich das Flower-Power-Ehrenzeichen umgebunden.“
Er merkte, dass er während seiner kleinen Stegreifrede etwas zittrig geworden war. Handelte sich ja auch um einen Auftritt. Wenn auch ohne Gitarre, an der man sich immer so schön festhalten konnte.
An der Stirnseite des durch die Tische gebildeten Us sah er zentral einen mit Blumen bekränzten Platz. Das war wohl seiner, da bedurfte es keiner großen Kombinierkunst.
Die ersten persönlichen Glückwünsche bekam er auf seinem Weg dorthin. Und als alle ihre Plätze gefunden hatten, sprach Anders ein kurzes Gebet. Sie setzten sich und begannen mit dem Frühstück. Das übliche Klappern und Klirren beruhigte ihn allmählich.
Das hatten sie wirklich toll gemacht. Er hatte das sehr genossen. Und seine kleine Dankesrede war ihm – wie er fand – ganz flüssig gelungen. Flüssiger als seine erste Rede hier in dem hohen Hause. Aber auch die hatte ihm nicht geschadet, wenn er einmal Revue passieren ließ, was hier in den acht Tagen alles passiert war.
Er schaute zu Manuela, die auf der Innenseite des Us nicht weit von ihm entfernt saß. Mit ihren kurzen strubbeligen, leicht lockigen Haaren. Waren die eigentlich blond? Nee, mehr so seine Haarfarbe: mittelblond hieß das wohl. Sie sah immer ungekämmt aus. Diesen Eindruck pflegte sie. Wahrscheinlich mit einem Kamm.
Was sie beide heute Nacht erlebt hatten, davon machte sich niemand hier eine Vorstellung. Nicht einmal die zwei, mit denen sie schon etwas gehabt hatte. Wer das wohl war? Vorsichtshalber wollte er sich darauf einstellen, dass das mit Manuela einmalig bliebe. Wenn auch wohl aus anderen Gründen als bei der Julia. Dass Manuela sich verliebt hatte oder verlieben würde, glaubte er eher nicht. War zwar vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, aber er schätzte sie momentan eher so ein, dass sie diesen Aufenthalt dazu nutzte, sich auszuprobieren. Was ihr ja hervorragend gelang.
Ihm allerdings auch. Hätte er vor einer Woche noch glatt abgestritten, dass er zwei solch unerhörte Ereignisse so würde einsortieren können in seinen Alltag. Weder bei der Julia war er zerbrochen, bei der Marie-Anne schon gleich gar nicht. Und bei Manuela war er eigentlich sogar, während sie gefickt hatten – wie sie das ja nannte –, davon ausgegangen, dass das einmalig bliebe. Obwohl dieses einmalige Ereignis gar nicht einmalig geblieben war. Wohl wieder ein One-Hit-Wonder, aber mit viermaligem Re-Entry. Soweit war er inzwischen in seiner Erinnerung gekommen. Erstaunen würde es ihn, wenn sie ihm Signale geben würde, dass sie mehr wollte als diese eine Nacht.
Während ihrer Ankunft hier und auch noch in der ersten Zeit war sie ihm ja als der Inbegriff der Weiblichkeit erschienen. Oder wie sollte man das jetzt nennen? Inbegriff einer Frau? Der Sexualität? Ihre Augen waren ihm als erstes aufgefallen. Die waren auch wirklich beeindruckend. Da hatte sie eine ganz besondere Power. Aber spätestens nach der Heuwender-Affäre wurde ihm deutlich, dass sie spielte. Gestern Nacht war er hin und weg gewesen, als sie da zu ihm ins Bett kam. „Benno, ich hab’ kalte Füße!“ Und für das, was dann folgte, war „hin und weg“ gar nicht mehr ausreichend. Trotzdem war, nachdem sie dann gegangen war, sein erster Gedanke, dass auch das gerade Erlebte nur Spiel war. Und er hatte das Gefühl, er könnte damit umgehen.
Gedanken würde er sich machen müssen über seine weiteren Ziele. Wobei ja spannend war, dass er weitere Ziele hatte. Auch noch unvorstellbar vor einer Woche!
Noch ein Brötchen und eine weitere Tasse Kaffee wären jetzt nicht schlecht. Man ließ ihn im Moment in Ruhe. Als ob seine Nachbarn mitbekamen, dass er ein wenig Zeit brauchte.
Die „weiteren Ziele“ traute er sich noch gar nicht so richtig zu denken, geschweige denn auszusprechen.
Mit der Zeit – die Raucher waren inzwischen bei ihrer ersten Zigarette des Tages angekommen, die so gut zur letzten Tasse Kaffee des Frühstücks passte, oder auch schon zur vorletzten – kamen die Gratulanten vorbei. Es begann mit Anders und Jensen, die auch noch jeweils einige „ernstere Worte für seinen weiteren Lebensweg“ parat hatten. Wie es wohl ihres Amtes war.
Anders gab ihm – handschriftlich auf ein kleines Kärtchen geschrieben – zwei Verse aus dem
139. Psalm
Die Bibel, s.o., Psalm 139, 23/24, S. 516
mit auf den Weg: „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich’s meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“
Jensen fügte seinen Glückwünschen – auch handschriftlich auf einem Kärtchen – einen Satz aus dem
Evangelium des Johannes
Die Bibel, s.o., Johannes 15, 5, S. 107
bei: „Jesus spricht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Er bedankte sich artig, legte die Kärtchen vor sich auf den Tisch und versprach, sich beide Sprüche in Ruhe und Muße noch einmal genau vorzunehmen. Jetzt sei ja nicht die Zeit dazu, und beide Zitate verlangten, soweit er das so schnell beurteilen könne, Konzentration.
Das war ja fast schon weltmännische Konversation. Und die beiden Herren waren’s zufrieden. Und da sie wirklich sympathisch waren, nahm er sich fest vor, sich an sein Versprechen zu halten.
Manuela gab ihm nur die Hand. Allerdings schaute sie ihn irgendwie komisch an aus ihren blaugrünen Augen. In denen er heute schon Mondlichtperlen gesehen hatte. Da sich aber langsam doch eine Schlange bildete, beließ er es bei einem „Vielen Dank“. Und der Nächste war dran: Eduard. Eduard wünschte ihm ein sportliches Jahr. Immerhin keine lateinischen oder griechischen Sinnsprüche. War ja sportlich gestartet, das Jahr. Sollte man ruhig so weitergehen. Er war bereit. Kalle meinte: „Glückwunsch, Kumpel!“ Kumpel? Da war er sich nicht so sicher. Marie-Anne drückte ihm nur kurz die Hand. Noch immer beleidigt? Als sie an ihm vorbei waren, umärmelte sie Kalle gleich wieder. Also musste sie doch nicht beleidigt tun. Aus dem angedrohten „Darüber müssen wir unbedingt mal reden“ war erfreulicherweise nichts geworden. Da gab es nichts zu besprechen. Aber das sah Kalle wohl inzwischen genauso. Jörn meinte „Weiter so!“ Wie „weiter so“? Was wusste der? Nichts wusste der, dem fiel nichts Besseres ein. Michaela säuselte „Alles Liebe! Alles Gute!“ Na ja. Fred reicherte das dann an durch „Viel Erfolg!“ Mehr so allgemein? Oder speziell? Er würde sich bemühen. Hannah gab ihm einen scheuen Kuss auf die Wange. Aha? Na so was? Hannah, die Rouladenjongleurin. Eine nette Rouladenjongleurin, müsste er hinzufügen. Hannes sagte nichts, schlug ihm dafür aber ziemlich derbe auf die Schulter. Das tat fast weh. Fühlte sich wohl auch Kumpel? Sollte er jetzt zurückschlagen? Erst mal nur mit seiner Rechten? Julia gab ihm die Hand, guckte verschämt auf den Boden, um ihn – schon im Weitergehen – noch kurz am Oberarm zu streicheln. Na, immerhin. Da war ja schon mal mehr drin gewesen. Aber er nahm ihr nicht mehr übel, dass sie ihn benutzt hatte. Wofür und warum auch immer. Und auch das war ihm egal. Bente meinte, sie würde am liebsten sofort mit ihm auf seinen Geburtstag anstoßen. Aber mit Kaffee ginge das irgendwie nicht so richtig. Schampus oder Korn oder zur Not auch Bier, aber nicht mit Kaffeetassen. Vielleicht könnten sie das ja einmal nachholen. Und dann gab sie ihm auch einen Kuss auf die Backe. Und weil ihr der Bartkitzel vielleicht gefiel, gleich noch einen auf die andere. Richtig schmatzend. Na, die war ja kess! Eine wirklich Charmante. Sollte er vielleicht doch einmal offener auf sie zugehen? Ein Vorsatz fürs neue Jahr? Etwas offener zu werden? Grundsätzlich? Carola übermittelte von John einen herzhaften Knuff, den sie ihm spürbar auf seine Brust gab. Und von ihr fügte sie einen Streichler hinzu. An gleicher Stelle. Zur Neutralisierung des Johnschen Knuffs, wie sie hinzufügte. Die beiden waren wirklich nett. Mindestens. John mehr als das. Was wohl aus ihnen werden würde? Birgit, heute mit frischen Locken, fühlte sich wohl ermuntert durch Hannah und Bente und griff ihn so richtig herzhaft und drückte ihre Wange an seine: „Benno, alles Gute für dich! Ich finde, der Sergeant Pepper hat eine schöne kleine Rede gehalten, besonders als er davon sprach, du sollest der Alte bleiben und dich verändern. Das ist doch ein richtig toller Satz. Den werde ich mir merken.“ Er sah die kleine kugelige und immer fröhliche Birgit an. „Da hast du Recht. Der Satz hat mir auch gefallen. Mal sehen, vielleicht kann ich den ja im nächsten Jahr befolgen. Ich werd’ mir Mühe geben, Birgit.“ Dann bekam er noch einen Wangenkuschler für die andere Backe. Sie musste dazu auf ihre Zehenspitzen, und er ging fast in die Knie. Musste witzig aussehen, wie sie beide da so schmusten.
Birgit war die letzte gewesen. Mikke und Karina hatten ihm vor dem Beginn des Frühstücks gratuliert, Mareike ebenso. Waren nun alle durch? Nee, Siggi fehlte noch. Die war gar nicht im Raum, wie er feststellte. War die gar nicht zum Frühstück erschienen?
Er setzte sich wieder hin, trank den inzwischen kalt gewordenen Kaffeerest, schenkte sich eine neue Tasse ein – die erste Veranstaltung heute, ein Tagesausflug nach Heidelberg, sollte erst um neun beginnen, da hätte er noch ein bisschen Zeit – und zündete sich eine Zigarette an. Sven Philipp kam mit Zigarettenspitze und Kaffeetasse und setzte sich neben ihn.
„Zufrieden, Benno? Guter Start in den Tag?“
„Astrein, Sergeant Pepper. Dein Beitrag sowieso. Das Stirnband allerbest. Frühstück wie immer. Die Gratulationscour – oder wie nennt man so etwas? – schon sehr herausragend. Was denen so alles einfällt. Oder eben nicht einfällt. Aber würde mir vielleicht ähnlich gehen, dass mir nichts Gescheites einfällt. So auf Kommando.“
„Stimmt. Kann man wohl so sagen. Nebenbei: Ich freue mich auch auf die zweite Halbzeit. Die Gruppe ist gut. Das kann man wirklich feststellen. Und ich weiß, wovon ich rede. Ich habe schon an unzähligen solchen Veranstaltungen teilgenommen. Mitunter musste ich dafür gar nicht erst irgendwohin fahren. Sondern diese Dinger spielten sich gleich bei uns zu Hause ab. Du erinnerst, ich komme aus einem Pastorenhaushalt. Und bei Pastors gehören Großveranstaltungen sozusagen zum beruflichen Alltag. Und als Familie ist man da mitgefangen. Zumal unsere Familie ja schon an und für sich eine Großveranstaltung ist.“
Jetzt war er mit dem Drehen fertig, steckte die Zigarette in die Spitze und zündete sein Feuerzeug.
„Aber wir hier sind schon eine gute Truppe.“
Er nahm einen ersten Zug, sah sich um, und fuhr dann fort.
„Meine gute Stimmung in Bezug auf unsere Gruppe kommt aber bestimmt zu einem nicht unwesentlichen Teil daher, dass ich mich verliebt habe. Und diese Person, um die es mir da geht, ist auch nicht uninteressiert. Was sagst du nun?“
„Na, da sag’ ich doch: Congrats, Sergeant!“
„Um genau zu sein: Nicht uninteressiert ist nicht ganz das richtige Wort dafür. Wir haben unser gegenseitiges Interesse – na, wie soll ich sagen? – schon ganz schön ausgedehnt.“
„Du meinst, Sergeant, ihr habt es miteinander – na, wie soll ich sagen? … you did it?“
Sven Philipp lachte und nahm einen Zug.
„Ja, so könnte man das nennen.“
Jetzt sah er sich im Raum um, ob nicht doch jemand ihnen zu nahe saß oder stand.
„Und sie war keine Jungfrau mehr – ist das nicht ein doofer Begriff? –, aber ich habe ihr nichts von meinem Zustand gesagt. Uns kann man das ja nicht unbedingt sofort ansehen oder anmerken.“
Er grinste Sven Philipp an. Und er würde sich bemühen, sich nicht zu verraten, wenn Sven Philipp jetzt mit einem Namen aufwartete.
„Rate mal!“
Er sah ihn gespannt an.
„Kleiner Tipp: Sie ist einen Tick größer als ich. Besonders wenn sie Pumps trägt. Was sie gerne tut.“
Na, Teufel auch. Aber er ging mal davon aus, dass Julia – sie war von den Mädchen das größte, nur sie konnte gemeint sein – dass Julia ihr gemeinsames Geheimnis dem Sven Philipp nicht erzählen würde. Genau das am wenigsten. Und er würde auch nichts erzählen. Auf keinen Fall. Er hoffte, Sven Philipp würde den Verwicklungen, die es da vor seiner Zeit gegeben hatte, nie auf die Spur kommen. Das könnte die beginnende Annäherung zwischen ihnen beiden gefährden. Er hatte den Eindruck, dass sich da etwas entwickelte. Freundschaft war wohl noch etwas hoch gegriffen, Sympathie zu tief. Vielleicht könnten sie das sogar mit in den Alltag hinüberretten. In die Zeit nach Waldtal. Aber sicher nicht, wenn er ihm jetzt auf die Nase binden würde, dass die Julia aus bestimmten Gründen ein Unterholz-Ereignis mit ihm hatte. Wo die beiden wohl aktiv geworden waren? Im Haus eher nicht. Das war wohl ihm als einzigem vorbehalten. Aber wer wusste das schon so genau?
„Na, du überlegst, Benno? Ist doch gar nicht so schwer. Fängt mit Jot an. Nun kommst du.“
„Na, toll, Sergeant Pepper. Sie ist doch eine tolle Frau.“
Vorsicht, nicht zu viel Begeisterung.
„Sieht gut aus, ist klug. Glaube ich wenigstens. Also wirklich: Glückwunsch, Sergeant.“
Er klopfte ihm auf die Schulter. Na, das war jetzt irgendwie zu kumpelhaft.
„Kann ich alles bestätigen. Aber mal zu dir. Was hat die letzte Woche da so ergeben? Du als alter Rock ’n’ Roller. Da hat sich bestimmt was getan?“
Gefährliches Pflaster. Also lieber tiefstapeln.
„Ja, Sergeant. Hatte auch ... ähh ... einmal das Glück. Über die Dame haben wir schon einmal gesprochen ...“
„Na, erwische ich dich doch noch, Benno. Ich dachte schon, es klappt nicht mehr, weil ihr schon alle verschwunden seid. Zum Rauchen oder so. Ich wollte dir doch auch noch gratulieren. Bin ich die letzte? Wie’s aussieht, ja. Also trotzdem: Meinen herzlichen Glückwunsch zu deinem Wiegenfeste. Alles Gute für das neue Lebensjahr. Und hier ...“, jetzt holte sie ihre linke Hand hervor, die sie hinter ihrem Rücken versteckt gehalten hatte, „... die habe ich extra für dich gepflückt. Wachsen hier direkt hinter dem Haus. Und auf den Dithmarscher Deichen mitunter ja auch.“
In ihrer Hand hielt sie eine pralle Handvoll Gänseblümchen. Kunstvoll zu einem Strauß gebunden.
„Die mögen dich an zu Hause erinnern. Und wenn du dann zu Hause bist und dort mal wieder Gänseblümchen siehst, mögen sie dich auch erinnern ...“, jetzt drückte sie ihm den Strauß in die Hand, „... zum Beispiel an ...“, sie überlegte kurz, „... an Waldtal zum Beispiel.“
Dann bekam er noch einen Kuss auf die Wange. Ganz zart und flüchtig, aber ihre Lippen berührten ihn. Was das anging, war er heute Morgen ja richtig verwöhnt worden.
„Das Stirnband steht dir gut. Siehst aus, wie wenn du gerade aus San Francisco eingeflogen wärest, Benno. Sehr stilvoll. Aus Sven Philipps Bestand?“
Sven Philipp nickte.
„Ich bin jetzt übrigens zum Sergeant befördert worden, Siggi. Zum Sergeant Pepper. Aber Recht hast du. Ich finde auch, dass Benno problemlos aufgenommen werden kann in die Riege der Hippies und Flower-Power-Anhänger. Wie sieht’s mit dir aus? Willst du nicht auch einmal einen kleinen Seidenschal probieren? Zu deinem schwarzen Haar müsste ein dunkles Rot passen. Hätte ich dabei. Könnte ich dir für die zweite Halbzeit überlassen. Leihweise. Ist ein Geschenk meiner Schwester aus London. Original Carnaby Street. Aber, wie gesagt: Leihweise kein Problem.“
„Ich überlege mir das, Sven Philipp, ich meine natürlich Sergeant Pepper. Vielen Dank für das Angebot.“
Sie legte einen Zeigefinger auf ihre Lippen, so dass die Fingerspitze ihre Nase berührte. Auf den Daumen stützte sie ihr Kinn.
„Was meinst du, Benno? So als neuer Fachmann in Dingen Flower-Power?“
„Rot würde in Schwarz mächtig reinknallen. Da kann ich dem Sergeant nur Recht geben. Ich würd’s machen.“
Siggi schaute sie beide an: „Wenn ihr meint?“
„Okay, Siggi. Ich fliege. Du kannst es ja mal versuchen.“
„Aber halt, noch einen Augenblick! Ich habe euch eben, als ich hier hereingeplatzt bin, unterbrochen. Pardon dafür! Benno war, glaube ich, gerade dabei, etwas zu erzählen. Von einer Dame, wenn ich das richtig verstanden habe?“
Mannomannomann!
„Ach, weißt du, Siggi“, und wie ging’s weiter? „das war nicht so wichtig“, und weiter? „ich glaube, wir waren gerade dabei, uns über Mareike zu unterhalten“, gute Idee, das war unverfänglich, „und wir waren beide übereingekommen, dass wir ihr zum Abschluss irgendwie ein Geschenk überreichen wollen“, geschickter Winkelzug, Gefahrenzone verlassen, „weil sie so toll kocht, es wunderbar gelassen aushält mit einer Horde mehr oder minder Halbstarker und selbst mit den Mahlzeitenteams immer vernünftig umgeht, auch wenn die mal gerade nicht so motiviert sind beim Tischaufdecken, Abräumen, Abwaschen undsoweiterundsofortetcpipapo.“
Verdammi noch mal to un haal mi de Düwel! Die Kurve hatte er ja doll genommen. Wär’ ja zu peinlich gewesen, wenn sie sein Geständnis in Sachen Manuela mitbekommen hätte.
„Das finde ich auch. Eine wirklich gute Idee. Ich denke, das sollten wir mal in der Gruppe ansprechen. Aber so, dass Mareike das nicht merkt.“
„Na, dann ist ja alles in Ordnung“, Sven Philipps Grinsen gehörte jetzt unbedingt in die Kategorie dreckig, „dann zisch’ ich mal ab in Sachen Flower-Power. Wir sehen uns gleich wieder, ihr süßen Blumenkinder!“