Er hatte sich heute gar nicht so recht nach Hause getraut. Und seine Befürchtungen bestätigten sich. Erneut ein Brief auf seinem Schreibtisch. Drei Tage in Folge. Lange nicht gehabt. Nee, noch nie gehabt. Siggi? Oder wieder die Julia? „Lieber Benno, es werden Zwillinge!“
Warum konnte er das Thema immer nur scherzig behandeln? Weil’s so absurd war?
Der Absender lautete diesmal ganz geheimnisvoll: M.G.
Zu G. fiel ihm nichts ein. Hatte er während der Vorstellungsrunde wohl nicht aufgepasst. Obwohl er in dem Moment, als sie dran war, doch gerade besonders aufgepasst hatte. Offensichtlich doch nicht aufmerksam genug? Sein Fehler. Hatte die Siggi ja auch sehr schnell bemerkt. Aber dem Gesetz der Serie folgend müsste M. für Manuela stehen. Was wollte sie von ihm? Erneute Vaterschaft etwa? Oder ein Liebesgeständnis? Nee, das nicht bei Manuela. Also Vaterschaft? Aber sie hatten doch Tüten benutzt. Vielleicht löchrige?
Er riss den Brief auf, nachdem er doch noch vorher am Umschlag gerochen hatte. Aber der roch eher neutral. Nicht nach Parfum, aber auch nicht nach Schweiß.
Eckern, 6. September
Hi, Benno, Du Ficker,
Immer derb-lustig und direkt, die Manuela. Die kleine, wilde Fickerin. War doch wahr!
ich dachte, ich lasse einfach mal etwas von mir hören. Wir haben uns nun ja schon über eine Woche nicht mehr gesehen. Lange Zeit. Ich habe gar nicht so recht wieder in den Alltag gefunden. Wie geht es Dir da?
Völlig richtig, ihr Befund. Aber die Post der letzten Tage machte es ja auch fast unmöglich, von Alltag zu sprechen. Seine Mutter nervte, wer denn da im Tagesrhythmus schreibe. Ob sie da etwas verpasst habe.
„Muss ich da etwas wissen, Benjamin?“
„Nee, nee, nur ’ne kleine Vaterschaft – ja, genau, ihr werdet Oma und Opa! –, ein Erlebnis mit quietschenden Matratzen und ein heißer Liebesbrief über Amischlitten-Sex und so, also nichts wirklich Beunruhigendes, Mama!“
Jetzt noch die Manuela. Ruhigeres Leben war doch auch nicht schlecht. Aber ruhigeres Leben war anders.
Was hatte sie noch zu sagen?
Wir haben ja gegen Ende unserer Zeit in Waldtal eher weniger miteinander gesprochen. Du warst da wohl anderweitig beschäftigt?
Stimmte auffallend. Das hatten dann sehr schnell alle mitgekriegt. Aber Siggi und er hatten da auch keine Heimlichkeiten veranstaltet. Und vor der Julia musste er sich nicht in Acht nehmen. Da war er sich sehr sicher gewesen. Für die Marie-Anne war er eh Luft. Und bei der Manuela hatte er einfach darauf vertraut.
Ja, worauf eigentlich? Das könnte er gar nicht so genau sagen, warum sie ihm „irgendwie vertrauenswürdig“ vorgekommen war und er trotz der Lichtungs-und-Einzelzimmer-Ereignisse davon ausgegangen war, dass sie seine Kreise nicht stören würde. Das fiel ihm jetzt eigentlich zum ersten Mal auf. Da hatte er sich bisher noch gar keine Gedanken gemacht. Das heißt, ganz zu Beginn hatte er sich
wohl
Gedanken gemacht, die genau in die andere Richtung gegangen waren? Aber Siggi war ja „informiert“. Seine Vorgeschichte hatte er im Schrittmacher gebeichtet. Also wäre die Sache für die Manuela, wenn sie denn miese Absichten gehabt hätte, nach hinten losgegangen.
Höchstwahrscheinlich.
Vermutlich.
Vielleicht.
Vielleicht aber auch nicht?
Vielleicht hatte er einfach nur Glück gehabt, dass er so „unversehrt“ durch die vierzehn Tage im südlichen Odenwald gekommen war. Wenn man mal von den Heuwender-Malen absah.
Waren ja nun wirklich zwei heiße Wochen gewesen. Davon hatte er seinen Kumpels hier in Walldorf noch gar nicht erzählt. Er war da immer sehr ausweichend und allgemein geblieben, wenn die gefragt hatten, was denn die Sommerferien im Süden so gebracht hätten. An Erkenntnissen und so. Die letzten beiden Wörter tauchten immer wieder auf. Schienen wohl der Knackpunkt ihrer Fragen zu sein.
Diese ausweichende Haltung müsste er jetzt vielleicht aufgeben, um seinen Druck loszuwerden. In Sachen Vaterschaft. Aber da müsste er noch genau überlegen, wer da in Frage käme. John? Wolle? Oder doch sein Bruder? Da bliebe das Ganze wenigstens erst einmal in der Familie.
Was schrieb Manuela noch?
Du hast, wie es scheint, mit mir gleichgezogen. Also der Endstand lautet dann wohl drei zu drei, Benno. Bei mir war – nach Dir – totes Höschen. Aber da wäre auch gar nichts mehr zu toppen gewesen.
Achtung! Das ist als Kompliment gemeint, Benno.
Na, scharf. Aber da musste er ihr zustimmen. Die Nacht auf seinen Geburtstag hatte schon etwas ganz Besonderes. Für ihn war Manuela zwar die zweite Frau, aber die erste, mit der die Post abgegangen war. Das hatten Siggi und er dann locker übertroffen. Spielend, könnte man sogar sagen. Oder getoppt, um in Manuelas Sprache zu bleiben. Aber die Manuela blieb die erste.
Ob er das jetzt der Siggi so sagen würde, wusste er noch nicht. Für sich selbst konnte er das ja einmal feststellen.
Wie ging’s weiter?
Ich bin Dir ja noch die Nummern eins und zwei schuldig: Also, Du wirst mir das kaum glauben: Die Nummer eins – wohlgemerkt rein chronologisch – war unser Eduard, der Hüter des Besitzes. Ich bin einfach einmal um sieben vor unserer Herberge aufgetaucht. Und dann haben wir einen kleinen Waldlauf gemacht. Mit Spezialverschnaufpause.
Der Eduard. Immer sportlich. Blicke waren ihm da wohl schon aufgefallen. Aber konnte ihm ja eh egal sein.
Na, und dann kam noch Mikke. Du erinnerst ihn? Der saß ja in der Vorstellungsrunde neben mir. Ein wirklich sympathischer Mensch, wie ich finde. Neben anderen waren er und ich in der Mahlzeitenvorbereitungsmannschaft. Und da wir arbeitsmäßig recht gut im Rennen lagen, haben wir uns – kurz nacheinander erst er und dann ich – bei Mareike abgemeldet. Wir müssten mal auf die Toilette. Und getroffen haben wir uns dann auf meinem Zimmer. Du siehst also, ich hatte schon Erfahrungen mit unseren quietschigen Matratzen, als ich dann bei Dir hereingeschneit bin. Wenn es auch ein sehr kurzer und in keiner Weise vergleichbarer Fick war, den Mikke und ich da hingelegt haben. Schließlich durften wir nicht zu lange wegbleiben. Und es bestand ja außerdem ständig die Gefahr, dass die Siggi hereinplatzt. Wir haben uns also sehr beeilt. Aber langsam ist schöner. Viel schöner, nicht wahr?
Der Mikke. Nicht schlecht. Und wirklich sympathisch.
Jetzt bist Du mir eigentlich noch Deine Nummer eins schuldig. Die Nummer drei war wohl eindeutig die Siggi. Das war ja nicht mehr zu übersehen. Meine Zimmergenossin. Ist das nicht witzig? Aber bei Deiner Nummer eins tappe ich im Dunklen. Das habt Ihr gut geheim gehalten.
Nun spuck’s schon aus, Benno. Ich sag’s auch nicht weiter.
Nee, das nun gerade nicht, Manuela. Da kannst du lange warten und rätseln.
Es hat sich da übrigens noch mehr getan in den vierzehn Tagen. Wir hatten wohl alle viel freie Zeit. Willst Du eine kleine Kollektion der Liebesbändel?
Also – um einen berühmten Zeitgenossen zu zitieren – also der Fred und die Michaela. Das ist sicher. Carola und John. Keine Frage. Kalle und Marie-Anne. Du erinnerst? Jörn und Hannah. Ja, tatsächlich. Weiß ich aus zuverlässiger Quelle. Julia und der Sergeant. Aber das war auch nicht zu übersehen. Und jetzt stell’ Dir einmal vor: die Birgit und die Bente. Was sagst Du nun?
Na so was, darauf wäre er nicht gekommen. Die ganzen anderen Paarungen waren keine wirkliche Überraschung. Entweder bekannt oder geahnt. Aber dann gab es bestimmt noch diejenigen, von denen die offensichtlich gut unterrichtete Manuela nichts wusste. Bente und Birgit waren ihm nicht als Liebespaar aufgefallen. Wie ging das überhaupt? Das wollte er aber mal lieber nicht laut fragen.
Und Julia und er waren ja offensichtlich noch nicht einmal von der Manuela bemerkt worden. Ausgerechnet da gab es nun diese Verwicklungen. Hoffentlich schrieb sie bald einen Entwarnungsbrief. Ob noch andere solche Brandbriefe in Schleswig-Holstein oder im Hamburger Rand unterwegs waren?
Tja, so weit die Plauderei aus dem Nähkästchen, Benno. Nun aber ganz direkt: Willst Du nicht einmal nach Eckern kommen? Soll ich Dir mal ein paar Daten nennen, an denen wir eine sturmfreie Bude hätten? Mit hervorragenden Matratzen übrigens.
Na ja, kleiner Scherz am Rande.
Liebesgrüße an den Ficker des Monats, Sektion südlicher Odenwald!
M.
PS.: Beigefügt habe ich das Foto des schlafenden Benjamin. Sehr süß, oder?
PPS.: Die Siggi hatte vor Dir übrigens etwas mit …, aber wem erzähl’ ich das, das weißt Du ja sowieso.
Die Dame hatte etwas Besonderes.
Sie fiel einem auf.
Und nicht nur ihre Augen hatten etwas Spezielles.
Die ganze Frau war abschätzend-herausfordernd.
Irgendwie sexuell
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