Dass heute wieder ein Brief auf dem Schreibtisch lag, hatte er geahnt. Er rechnete mit allem.
Seine Mutter hatte wohl eine heiße Woche hinter sich. Und die war ja noch gar nicht vorbei.
„Unser kleiner Benjamin“, immerhin einsvierundneunzig, „bekommt inzwischen täglich Post. Ob das alles nur Urlaubsgrüße sind? Die Ferien sind doch vorbei?“
Sie hatte ordentlich zu knacken. Und er hatte sich bisher sehr einsilbig und zurückhaltend gezeigt. War Gesprächen ausgewichen. Man gerade, dass er noch zu den gemeinsamen Mahlzeiten erschien. Sein Vater ließ ihn erstaunlicherweise in Ruhe.
Heute war Freitag, der Poststempel datierte auf den 7., also auf Donnerstag. Gestern. Der Absender wieder Jot Punkt Marxen. Die Julia.
Er traute sich gar nicht, den Brief zu öffnen.
Das Tonbandgerät, das eingeschaltet war, begann gerade mit den Jefferson Airplane, genauer mit Jorma Kaukonen von den Jefferson Airplane. Der hatte auf der LP Surrealistic Pillow ein Solostück für Gitarre eingespielt. Eigentlich ein Wahnsinns-Song. Aber der Titel hatte doch so einen gewissen Beigeschmack:
Embryonic Journey
.
Na ja, es half ja nichts. Öffnen musste er den Brief so oder so. Der Titel war – auch so oder so – einfach ein Chart-Topper. Obwohl der gar nicht in den Charts gewesen war. Nur in seinen ganz persönlichen.
Lübeck, 7.September
Lieber Benno,
Entwarnung! Alles hat sich natürlich geklärt!
Erzähle bitte niemandem etwas!
Alles Gute für Dich und behalte mich trotzdem in guter Erinnerung.
Julia
Hurra!
Embryonic Journey – hinfort seine Jubelhymne.
Schwein gehabt.
Riesengroßes Schwein gehabt.
Auch Dir alles Gute, Julia!
Jetzt brauchte er ja eigentlich nicht mehr zu schreiben?
Morgen würde er wirklich nach Marne fahren. Er würde gleich anrufen.
Kein Teufel könnte ihn mehr aufhalten.
In solch einer Stimmung sagte seine Oma immer:
Nimm den Düwel oppe Nack, denn kümmt he di nich inne Mööt!